Wohnen ist konservativ, heißt es immer wieder. Die Menschen würden heute, so eine vielfach vertretene Position, kaum anders als vor Jahrzehnten wohnen, Veränderungen in diesem Bereich seien besonders langsam. Trotzdem gibt es schon seit langem einen eigenen Forschungs- und Praxisbereich, der sich mit „neuen Wohnformen“ befasst – was dabei genau neu ist, diese Frage stellt sich immer wieder anders.
ROBERT TEMEL
Vielfach geht es dabei um Grundrissexperimente. Und auch wenn einige dieser Experimente den Weg in die Bedeutungslosigkeit genommen haben, so gibt es doch viele, die nach und nach, vom Pilotprojekt über die Nische bis in den Mainstream, zum Normalfall oder sogar zum Standard geworden sind.
Manche Formen, beispielsweise die Wohngemeinschaft oder das gemeinschaftliche Wohnprojekt, sind seit Jahrzehnten als Nischenprodukt im riesigen Wohnbaufeld etabliert. Die IBA_Wien unter dem Titel „Neues soziales Wohnen“ ist natürlich der richtige Ort, um die diesbezüglichen Wiener Versuche der jüngsten Zeit zu analysieren und Schlüsse zu ziehen, wohin die Reise beim Thema innovative Wohntypologien eigentlich geht.
Forschung zu besonderen Typologien
Im Auftrag der IBA_Wien arbeitete deshalb Wohnbund-Consult an einer Studie zum Thema neue Wohntypologien. Wohnbund-Consult ist seit kurzem eine Genossenschaft, das Unternehmen widmet sich vorrangig dem Thema soziale Nachhaltigkeit in vielfältigen Formen und führt immer wieder auch Forschungsprojekte durch.
Die Studie legte einen Rahmen fest, was unter „besonderen Wohntypologien“ zu verstehen ist, indem man etwa 140 ExpertInnen interviewte. Detailliert untersucht wurden Wiener Projekte, die seit 2009 im Rahmen des geförderten Wohnbaus entstanden. Diese Projekte wurden einem „Reality Check“ unterworfen, einerseits wiederum durch Interviews mit ExpertInnen, dann aber auch durch Vor-Ort-Interviews mit BewohnerInnen von ausgewählten Projekten.
Dem Unterschiedlichen Raum geben
Es ging dabei um einen grundsätzlich anderen Zugang zum Grundrissentwurf, als das in der klassischen Moderne der Fall war und teils bis heute üblich ist: Damals ging es darum, wenige, universelle Grundrisstypen zu entwickeln, die für möglichst alle passen – was in der Praxis bedeutete, dass sie eigentlich nur für wenige geeignet waren, die der Norm am nächsten waren hinsichtlich Lebensweisen, Einkommen, Familienform und so weiter. Alle anderen mussten sich anpassen.
Das Gegenteil zur universellen, modernistischen Wohnung ist die spezifische Wohnung. Diese will einen an spezifische Bedürfnisse und besondere Lebensweisen angepassten Grundriss bieten, sodass in der großen Zahl durch die Vielfalt der Wohntypologien für alle etwas dabei ist, egal wie nah oder fern sie der Norm stehen – ein Zugang, der für die heutige diverse Gesellschaft perfekt passt. Das bedeutet aber auch, dass laufende Weiterentwicklung und genaue Kenntnis der Zielgruppen nötig sind, um passende Typologien zu finden.
Die Studie zeigt, dass es neben den üblichen Standardlösungen auch spezifische Alternativen im Angebot braucht. Am Anbietermarkt wird zwar fast jede Wohnung genommen, wenn man aber nicht nur die Rendite, sondern die Wohnbedürfnisse der Menschen im Blick haben will, muss man auch Alternativen bieten. Die Co-Autorin Margarete Huber meint: „Wichtig ist vor allem die Passgenauigkeit, das heißt die Gewährleistung, dass die entsprechenden NutzerInnen auch die jeweils passende besondere Typologie finden.“
Welche Besonderheiten?
Die Studie identifizierte fünf Kategorien „besonderer“ Typologien: Zunächst ist das Schaltbarkeit, also die Möglichkeit, Wohnungen durch das Zusammenschalten oder Trennen von Wohneinheiten oder Zimmern an verschiedene Anforderungen anzupassen. Weiters Geteilte Räume, also Wohnflächen, die geteilt werden, wie das in einer Wohngemeinschaft oder einem Wohncluster der Fall ist.
Dann Überhöhte Räume, also Wohnräume mit mehr als 2,5 Meter Raumhöhe und Split-Level-Wohnungen und Formen, wie sie für die Kombination von Wohnen und Arbeiten eingesetzt werden…