Sanieren und Weiterbauen sind in Österreich – zumindest theoretisch – Programm. Die Revitalisierung von Häusern kann einen Mehrwert für Bewohner schaffen und den Anspruch, mehr Wohnraum zur Verfügung zu stellen, durchaus erfüllen. Beispiele dazu aus einer Ausstellung und der aktuellen AK-Studie.
ERNST GRUBER,
RAIMUND GUTMANN
Laut österreichischem Regierungsprogramm sollen „Investitionsanreize für Neubau und Sanierung“ gesetzt werden: „Nachverdichtung und Überbauung haben Vorrang vor Versiegelung grüner Wiesen“. Dem entsprechen auch die baukulturellen Leitlinien des Bundes, die „zu einer sparsamen und möglichst kompakten Siedlungsentwicklung“ auffordern. Vor der Nachverdichtung kommt in der Regel die Frage nach der Bestandserneuerung. Ein Blick über die Grenzen – zwei spannende Beispiele mit viel Mehrwert für Bewohner – zeigt das Potential der Sanierung.
Die Großsiedlung „Quartier du Grand Parc“ aus den 1960er-Jahren liegt im Norden des Stadtzentrums von Bordeaux in Frankreich. Sie steht im Eigentum der sozialen Wohnungsbaugesellschaft der Stadt Bordeaux und verfügt über mehr als 4.000 Wohnungen. Gegenüber Strategien zur Nachverdichtung in Österreich besteht in Frankreich die Tendenz zu einer Reduktion von Dichte in derartigen Wohnvierteln, wie sie durch die Anru (L’Agence nationale pour la rénovation urbaine) verfolgt wird. Gegenüber Förderungen für Nachverdichtungsprojekte wird oft eher dem Abriss und dem Wiederaufbau kleinerer Gebäude der Vorzug gegeben. Die Wohnbauten in Bordeaux wurden jedoch von der Unesco als erhaltenswertes baukulturelles Erbe eingestuft.
2010 wurde eine Sanierung für drei dieser Bauten mit 530 Wohnungen in zehn- bzw. 15-geschossigen Blöcken beschlossen. Den Wettbewerb dazu gewann das Büro Lacaton & Vassal. Ihr Konzept steht im Zeichen wirtschaftlicher, sozialer und energetischer Nachhaltigkeit. Anstelle kleiner Loggien wurde eine Zone aus attraktiven Wintergärten und Balkonen vorgesetzt. Dadurch erhalten die Wohnungen mehr Luft, Licht und eine größere Flexibilität, ohne den Grundriss zu verändern, was einen spürbaren Mehrwert darstellt. Die Beibehaltung der bestehenden Wohnstandards ermöglicht eine höhere Flexibilität der Wohnungstypologien als bei einem Neubau. Die bisherigen Mieter blieben in ihren Wohnungen. Zusätzlich wurden die Bauten mit kleinen Wohnungen aufgestockt.
Die Erweiterung kostete gegenüber einer reinen energetischen Sanierung etwa das Doppelte, mit rund 50.000 Euro pro Wohnung ist dies aber immer noch wesentlich günstiger als ein Neubau. Da für die Deckung der Kosten Rücklagen aus dem abbezahlten Gebäude herangezogen werden konnten, kam es auch zu keiner Mieterhöhung. Der Nachteil der Strategie liegt in der Belastung der Mieter durch die Sanierung und den Zubau bei Vollbetrieb.
Keep it raw
Die Wohnsiedlung „Park Hill“ in Sheffield war in die Jahre gekommen: heruntergekommene Fassaden, schlechte Isolierung und die schummrige Beleuchtung der Gänge trugen seit den 1980ern zu einem derart schlechten Image bei, dass Park Hill mit seinen knapp 1.000 Wohnungen zu einem Synonym für einen Ort sozialen Abstiegs wurde. Dennoch hielt Sheffield anders als Städte mit vergleichbarem Wohnungsbestand an „ihrer“ Problemsiedlung fest und stellte sie 1998 sogar unter Denkmalschutz, denn die Baustruktur erwies sich nach wie vor als qualitativ gut und tragfähig.
Die Strategie, dadurch Investoren anzulocken, ging schlussendlich auch auf. Urban Splash, ein britisches Immobilienunternehmen, das sich auf die Umnutzung und Revitalisierung von Gebäuden mit Schwerpunkt auf Wohnen spezialisiert hatte, begann 2009 mit einem lang angelegten und umfassenden Revitalisierungsvorhaben, das noch bis 2022 läuft. Eines ihrer zehn Prinzipien war es, die Rohheit des im Stil des Brutalismus stehenden Gebäudeensembles in Sheffield beizubehalten („Keep it raw“).
Im Zuge der Totalsanierung bleibt nur das Betonskelett erhalten, nicht notwendige Trennwände wurden zu Gunsten großzügiger und offener Grundrisse entfernt. Wesentliche Mehrwerte finden sich für die Bewohner nun im Erdgeschoss, das durch neue Nutzungen wie eine Kinderkrippe, Büros, ein Pub, ein Restaurant und kleinere Geschäfte reaktiviert wurde. Ein weiterer Mehrwert ist die Aufhebung der ehemaligen Monofunktionalität des (sozialen) Wohnens durch eine Mischung aus Eigentumswohnungen, Sozialwohnungen, Büro- und Arbeitsplätzen sowie Studentenwohnungen.
Ganzheitliche Maßnahmen
Die Beispiele zeigen die Bedeutung der Auseinandersetzung sowohl in Form der spezifischen architektonischen Qualitäten der Bestandsgebäude als auch mit der Kritik an ihnen. Bei Park Hill wurde auf die fehlende räumliche Beziehung zwischen Wohnungen und Erschließung durch die Erweiterung der Wohnungszugänge eingegangen. Beim Quartier du Grand Parc stand die Förderung der Aneignungsfähigkeit durch die nutzungsoffenen Wintergärten im Zentrum…