Kiel. Angesichts explodierender Heiz- und Energiekosten ist es eine Überlegung wert, das Atomkraftwerk Brokdorf im Südwesten Schleswig- Holsteins erneut anzufahren und eine gewisse Zeit wieder Strom liefern zu lassen. Ich weiß, so ein Gedanke ist umstritten und heikel. Aber in Zeiten, in denen Bundeskanzler Olaf Scholz angesichts des Ukraine-Krieges von einer Zeitenwende spricht, gilt es, eigene Positionen zu überprüfen und zu vernünftigen sowie pragmatischen Lösungen zu kommen.
Wer unabhängiger vom russischen Gas werden und trotzdem am Klimaschutz festhalten will, der muss akzeptieren, dass Atomenergie – zumindest noch eine gewissen Zeit – zur Energieversorgung in Deutschlands dazu gehört. Der Atomenergie gehört sicher nicht die energetische Zukunft. Aber in der Gegenwart hilft sie uns.
Verärgerung über steigende Energiepreise
Die im VNW organisierten Wohnungsgenossenschaften und -gesellschaften müssen derzeit ihren Mieterinnen und Mietern vorsorglich mitteilen, dass auf sie erheblich gestiegene Heiz- und Energiekosten zukommen. Einige Unternehmen haben ihren Mietern angeboten, den monatlichen Abschlag zu erhöhen, was bereits zu erheblichem Unmut geführt hat.
Angesichts dieser Entwicklung sollten die politisch Verantwortlichen in Kiel das Atomkraftwerk Brokdorf wieder anfahren und zeitlich befristet laufen lassen. So schwer es fällt: Atomenergie ist derzeit ein gangbarer Weg, für die Menschen die Heiz- und Stromkosten bezahlbar zu halten. Nur wenn innerhalb kurzer Zeit mehr günstig erzeugte Energie auf dem Markt ist, lässt sich der dramatische Preisanstieg dämpfen.
Gaspreise haben sich innerhalb von sechs Monaten verdoppelt
Beim Strom sind die Beschaffungspreise zuletzt um 36 Prozent gestiegen. Das bedeutet, dass ein Haushalt mit einem Jahresverbrauch von rund 5000 Kilowattstunden für einen jetzt abgeschlossenen Vertrag durchschnittlich 2053 Euro im Jahr zahlen muss. Ein Jahr zuvor lag die Summe bei 1509 Euro. Bei Gas ist der Preisanstieg deutlich größer. Wer derzeit einen Vertrag vereinbart, muss bei einem Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden im Durchschnitt 2600 Euro pro Jahr bezahlen. Vor sechs Monaten lag dieser Wert bei rund 1300 Euro.
Angesichts des Krieges in der Ukraine dürften die Preise für Heiz- und Stromkosten noch einmal erheblich steigen. Zusätzliche Preissprünge sind zu erwarten, sollte die Lieferung von Gas aus Russland ausbleiben. Wir brauchen daher jetzt keine Debatte darüber, wie hierzulande die Energieversorgung in zehn Jahren aussehen soll, sondern müssen kurzfristig Lösungen finden. Ansonsten werden sich die Menschen vom Klimaschutz abwenden.
„Frieren für Frieden“ ist eine zynische Forderung
In den Wohnungen der VNW-Unternehmen leben vielen Menschen mit mittlerem und geringem Einkommen. Wir kennen deren Situation und wissen darum, dass die meisten von ihnen derart explodierende Energiekosten nicht tragen können. Wenn einige davon reden, man müsse aus Solidarität mit der Ukraine für den „Frieden frieren“, so empfinde ich das als zynisch: Viele Mieterinnen und Mieter unserer Verbandsunternehmen haben ihre Heizung bereits um ein paar Grad heruntergedreht.
Das Atomkraftwerk Brokdorf ist eines der leistungsstärksten weltweit und wurde erst Ende vergangenen Jahres vom Netz genommen. Es geht mir nicht um einen „Ausstieg aus dem Ausstieg“, sondern darum, die Menschen möglichst rasch mit bezahlbarer Energie zu versorgen.
Andreas Breitner
Vorstand und Verbandsdirektor
Verband norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW)