Neulich kam mir bei der Beschäftigung mit den aktuellen Katastrophen-Kapriolen der britischen Regierungspolitik wieder das berühmt-berüchtigte Zitat der früheren Premierministerin Margaret Thatcher unter: „There is no such thing as society. There are individual men and women, and there are families.“ Damit startete sie 1979 in ihre Amtszeit und in eine Ära, die man später neoliberal nennen sollte. Es war nur konsequent, dass die radikale Verfechterin des Individualismus mit ihrem 1980 beschlossenen, auf Wohneigentum setzenden „Right to Buy“-Gesetz gleich zu Beginn dem sozialen Wohnbau im Vereinigten Königreich den Todesstoß versetzte, von dem er sich nie wieder erholen sollte.
Wie wir zusammen wohnen, das ist immer ein Spiegelbild dessen, wie wir als Gesellschaft zusammenleben wollen. Das Rote Wien war eine solche Willenserklärung, und auch die vielfältigen gemeinschaftlichen Wohnformen von heute sind so etwas wie eine Thatcher- Antithese. Sie beweisen: Wir sind in der Tat eine Gesellschaft. Wir sind mehr als individuelle Männer und Frauen, die nur auf den eigenen Gewinn und Vorteil aus sind. Und was genau eine „Familie“ ist, darf durchaus selbstgewählt und selbstbestimmt sein.
Gemeinschaftliche Wohnformen sind dabei keineswegs homogen. Es gibt sie in der ländlichen Variante des Öko-Dorfs und in der städtischen Variante der Verdichtung, mit allen Abstufungen zwischen Privatheit und Kollektiv. Gerade die städtischen Baugruppen müssen sich oft das Vorurteil anhören, sie seien ein privilegiertes Nischenprogramm für Bildungsbürger. Während es stimmt, dass man Arbeiter oder Migranten hier nur in Ausnahmefällen findet, trifft der Vorwurf, man wolle es sich ja nur schön machen, daneben. Denn einen solchen thatcherhaften Egoismus könnte man auch schneller und bequemer haben, dafür braucht man keine Soziokratie, keine abendfüllenden Diskussionen Woche für Woche, kein jahrelanges Ringen um die Finanzierung.
Wer sich das alles antut, tut dies aus dem Bewusstsein, dass es eine Gesellschaft gibt. So wird die Wahl der Wohnform zum zivilgesellschaftlichen Engagement, das über den Bauplatz weit hinausreicht. Es werden wirtschaftliche Modelle von Solidarität und Gemeinwohl entwickelt. Man versucht, eine bessere und klimaschonende Nahrungsversorgung zu erreichen, man probiert neue Formen der Mobilität ohne Individualverkehr. Kurz: Es sind Labore der Gesellschaft, die sich auch und gerade in Krisenzeiten bewähren. Viele davon, und ihre Protagonisten und Geschichten, finden Sie in diesem Heft.
Ihre Maik Novotny