Eine wesentliche Erkenntnis der IBA im Präsentationsjahr 2022: Die Mischung von Nutzungen und die Kommunikation der Beteiligten untereinander sind elementar für eine nachhaltige Quartiersbildung.
MAIK NOVOTNY
Der Lockdown am Beginn der Corona- Pandemie machte nicht nur schlagartig die Bedürfnisse und Mängel in Bezug auf den Wohnraum deutlich, sondern auch die prekäre Lage von Kleinunternehmern. „Zum ersten Mal bekam auch die breitere Öffentlichkeit in Wien eine Vorstellung davon, wie es wäre, wenn es keine Nahversorgung im Umfeld gibt“, schreiben Mirjam Mieschendahl, Beatrice Stude und Lena Schartmüller in ihrer 2020 veröffentlichten Studie „Mehr Gemeinschaft für vielfältige und zukunftsfähige Quartiere wagen“, die in der Reihe „Beiträge zur IBA_Wien 2022“ erschienen ist.
Auch die langjährige Arbeit des Teams von imGrätzl.at, auf die die Studie zurückgreift, mündete im Bewusstsein, wie fragil die kleinteilige lokale Wirtschaft ist. Schon im April 2020 wurde im Zuge der Forschung eine Umfrage unter Selbstständigen gestartet, mit besonderem Fokus auf Frauen. Gerade die Kleinunternehmer erwiesen sich als Schlüssel zur Lebendigkeit und Krisenfestigkeit von Stadtquartieren. Ihr Kampf ums wirtschaftliche Überleben hatte daher unmittelbare Auswirkungen auf das Umfeld. „Man darf nicht vergessen, dass das Aktivieren einer Gewerbefläche besonders für die Einzelunternehmen ein immenser Kraftakt ist“, heißt es in der Studie.
Lernen von Baugruppen
Einen Gewerberaum, den man mit eigenen Rücklagen finanziert und ausgestattet hat, gibt man nicht ohne Weiteres zugunsten des Homeoffice auf – zumal dies auch oft gar nicht mit der Art des Gewerbes korrespondiert. Die erste Umfrage im April ergab, dass 87 Prozent der Teilnehmer ihrer Tätigkeit nicht im Homeoffice nachgehen können. Lernen, so die Autorinnen, lässt sich hier vom Wohnbau, genauer gesagt von der Solidarität und Organisation von Baugruppen – oder, wie es die Studie nennt, vom „Baugruppen- Spirit“.
„Wir haben gemerkt, dass sich viele Hausverwaltungen in der Corona- Krise sehr schwergetan haben, während mit den Baugruppen das Programm relativ normal weitergelaufen ist“, resümierte Gernot Tscherteu von realitylab im Juli 2020. Weitere Empfehlungen der Studie: Flexiblere Mietmodelle anbieten, Untermiete ermöglichen, Mehrfachnutzung mitdenken und sich in bestimmten Stadtteilen für passende Nutzergruppen profilieren.
Konkrete Hilfestellung, wie sich kleinteilige Nutzungsmischung umsetzen lässt, bietet eine weitere Studie im Rahmen der IBA_Wien 2022. Unter dem Titel „Raumteiler Hubs: Innovative Gewerbeflächen für Selbstständige und MacherInnen“ (erschienen 2021) zeigen Silvia Forlati, Julian Junker und Mirjam Mieschendahl in zwölf Schritten, wie sich solche Hubs initiieren lassen: Ziele definieren, Potenzial identifizieren, Flächenbedarf prüfen, „Raumgerüst“ definieren, Organisation, Ausstattung und Mietmodus klären; schließlich Außenauftritt und Verträge bestimmen und zuletzt die Nutzer finden, Kerngruppen aufbauen und die Nutzungsphase intern managen.
Eine fundierte Analyse von aktuellen Wiener Prototypen ergänzt die Studie: Das Mix-it-Pilotprojekt Innovation Stadtsockel (2018–19), der Flexpace Bruno-Marek-Allee (2019) und die HausWirtschaft (2016–23), alle am Nordbahnhofareal, das MIO im Sonnwendviertel, die sChanze im IBA-Quartier An der Schanze und das J13&Mischa in der Seestadt Aspern. Fazit: „Der Mehrwert, der produziert werden kann, liegt in der Schaffung von belebten Stadtteilen und Erdgeschoßzonen, in der Schaffung von Arbeitsplätzen in der Nähe von Wohnungen und in der Möglichkeit, eine Antwort auf die Bedürfnisse der neuen Post-Corona-Arbeitswelten zu geben.“
Zentrales Thema
Der Quartiersmaßstab ist nicht nur in Bezug auf kleinteilige Nutzungsmischung ein wesentlicher Faktor, sondern hat sich auch zu einem zentralen Thema der IBA_Wien entwickelt, berichtet IBA-Koordinator Kurt Hof-stetter. „Im IBA-Memorandum zu Beginn unserer Arbeit standen die drei Themen neue soziale Quartiere, neue soziale Qualitäten und neue soziale Verantwortung noch gleichwertig nebeneinander. Im Laufe der Jahre hat sich dann die Quartiersentwicklung als der Schlüssel herausgestellt, mit dem sich auch die Umsetzung aller anderen Ziele erschließt…